Architektur und Kunst - Neue Altstadt und Schirn Kunsthalle

Am 9. Februar 2023 besuchte der Meckenheimer Bürgerverein Frankfurt am Main.  41 Mitglieder unter der Leitung von Rotraut de Haas besichtigten die neue Altstadt und besuchten die Chagall-Ausstellung in der SCHIRN  Kunsthalle 

 

Wer Frankfurt und Architektur in einem Atemzug nennt, hat die weltweit bekannte Hochhaus – Silhouette vor Augen: eindrucksvolle Selbstinszenierung der deutschen Bank – und Börsenmetropole. Möglicherweise mischt sich noch das gewaltige Rund der Paulskirche ins Bild , seit 1848 Ikone der beginnenden nationalen Einheitsbewegung.

Von dort sind es nur wenige Schritte bis zum Römerberg, seit Jahrtausenden Keimzelle der Frankfurter Zivilisation, über ein glanzvolles Mittelalter, Kaiserkrönungen und Warenmärkte hinweg. Der Zweite Weltkrieg  hinterließ nur ein Trümmerfeld. Alles platt. Hinweg die Traulichkeit des Fachwerks und der spitzen Giebel. Doch auf und aus den Ruinen sollte und musste eine  neue Altstadt entstehen. 

Statt der Moderne ausschweifenden Tribut zu zollen, triumphiert bei der jahrzehntelangen, oft kontrovers verlaufenen , am Ende dennoch sorgfältig erarbeiteten Wiedererweckung des Zerstörten Bescheidenheit. Man nahm Maß am Alten. Orientierte sich an der ehemaligen Hausbreite und – höhe, vier Geschosse. Ließ Einfallreichtum und Detailfreude jedoch großen Spielraum. Bildhauerische Fragmente, selbst eigenwillige Materialreste wurden als schmückende Spolien eingebunden. In weitgehend wohltuender Harmonie erschließt sich das Gesamtgefüge von Gassen und Gässchen auf engem Raum, tun sich sogar Innenhöfe auf.

Höhenunterschiedes des Geländes werden von Treppen und Treppchen überbrückt. Und ab und an blitzen in alter Pracht und Herrlichkeit Gebäude wie Reliquiare als Blickfang am Ende eines Korridors auf. So „Die goldene Waage“, ein altes Café als Kunstobjekt. Überhaupt haben hier soziale, zur Geselligkeit ermunternde und kunstbezogene Institutionen ihre angemessene Heimstatt gefunden. Galerien und Antiquariate sowie unzählige Gaststätten jedweder Art,  kleinere spezielle Museen. Alle rundum der Schirn, der weitläufigen Kunsthalle im historischen Zentrum Frankfurts: zweites Tagesziel der Meckenheimer Exkursion.

Gezeigt werden Bilder des vielgeliebten „poetischen Malers“ Marc Chagall. Doch diese Schau von über hundert bisher nie gezeigten  Werken des jüdischen Künstlers verstärkt seine epochale Bedeutung. Sie stammen aus dem Kriegs- und Vertreibungsjahren bis zu Chagalls Flucht in die USA 1941 und darüber hinaus.  Noch im 19. Jahrhundert in Witebsk geboren, begleiten ihn die Hüttenhäuschen seiner weißrussischen Heimat als fester Bildkanon bei seiner Welterkundung über Berlin und Paris bis Übeersee, sie siedeln bildlich sogar am Fuß des Eiffelturms.

Auch er selbst gemeinsam mit seiner Frau  Bella gehören als ewig bräutliches Liebespaar als fester Bestandteil zur Ikonographie von Chagall. Ebenso wie die Gemeinsamkeit von Gekreuzigtem und dem die Thora-Rollen umarmendem Rabbiner – ein bildnerisches Zusammen von Altem und Neuem Testament, wie man es sonst nirgends in der bedeutenden Kunstwelt findet. Und alles, ob Ding, Mensch oder Tier, alle können fliegen, sogar die Wanduhr hat bei Bedarf Flügel, die Engel sowieso. 

Aber dass sie wie göttliche Furien gewaltsam auf die zerstörerische Welt niederstürzen, das sind zweifellos neue Erfahrungen für das malende Genie gewesen, das im wunderbaren Blau Ruhe und Frieden verankert und durchs hoffnungsvolle Goldgelb bis ins Orangerot die Entfesselung des Schrecklichen erfasst. Das wird in unerwartet großformatigen Ölgemälden deutlich. Sie eröffnen eine unerwartete Dimension im Schaffen Chagalls. Trotz und neben seinen verbindlichen Bildfloskeln erscheint seine Phantasie unerschöpflich: alles vertraut und zugleich neu in der Aussage. Bilder des Schreckens. Krieg und Verderben sind zum Thema geworden.

Das Liebliche der Bilder, der Streichinstrumente, der freundlichen Tiere und die Überwindung der Gegenständlichen bis zur geradezu tachistischen Farborgie kann jäh enden, wenn es um die Klagemauer geht. Da ist nichts mehr verspielt und harmlos schön. Kein Zierrat, nur nackte Felswand, Steinbrocken im engen Geviert: riesig, abweisend. Nur noch als Chiffren werden die Menschlein in ihrer Winzigkeit wahrgenommen. Wer hätte diese, immerhin feinnervige Ödnis Chagall zugetraut?     

Helena Schreiber- Eßer